Ein Besuch bei der Baumschule. Noch mehr Mist. Und eine Sonnenfalle.

Grüner Daumen durch Glück und Nichtstun

Nach einer nächtlichen Fahrt und ein wenig Schlaf weckt mich wie immer der azurblaue Sommerhimmel, der in aller Früh zum vorhanglosen Schlafzimmerfenster hereinstrahlt. Ist hier jemals schlechtes Wetter?, frage ich mich. Ach ja, neulich hat es mal einen Tag geregnet. War aber kaum der Rede wert. Heute ist jedenfalls wieder ein schöner Spätsommermorgen, und ich sehe nach meinen Kulturen, die ich letzte Woche ins Quadratbeet am oberen Brunnen gesetzt habe. Alles bestens! Der Grünkohl ist merklich größer und kräftiger geworden. Er scheint es zu genießen, nicht mehr in den kleinen Töpfen eingesperrt zu sein. Auch der Rukola hat sich merklich erholt und Kohlrabi und Steckrüben sind inzwischen ungefähr gleichgroß, sodass ich gar nicht mehr genau sagen kann, wer jetzt wer ist. Naja, und die Minze ist sowieso unverwüstlich und steht wie ’ne Eins.

Für mich ist das ein echtes Erfolgserlebnis! In unserem Grabelandgarten in Dortmund haben wir es inzwischen aufgegeben, einjähriges Gemüse anzubauen, denn dort wüten das ganze Jahr über so viele Spanische Wegschnecken, dass jegliche Pflänzchen, und seien sie noch so robust und lange vorgezogen, ihnen nach nur einer Nacht zum Opfer fallen. So manche Träne habe ich hierüber schon verzweifelt vergossen und auch schon an meinen gärtnerischen Laienfähigkeiten gezweifelt, denn nichts, aber auch gar nichts, hat dort den Hauch einer Chance, mehr als 24 Stunden zu wachsen, mit Ausnahme von Mehrjährigen und Topinambur. Und nun stehe ich hier vor meinem kleinen Quadratbeet, das eine volle Woche lang unbeaufsichtigt sich selbst überlassen war, und alle Kulturen fühlen sich pudelwohl und aalen sich in den ersten wärmenden Sonnenstrahlen des Tages, als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Auch die Erde ist fingertief noch gut angefeuchtet; der Mulch tut also mal wieder seinen Dienst und speichert zuverlässig Wärme und Wasser für ein angenehmes Bodenklima. Anscheinend bin ich also doch nicht so untauglich für den Gemüseanbau, wie ich in den letzten Wochen dachte. Zumindest hier wächst und gedeiht alles. Ich bin happy!

Pflanzenshopping

Vormittags statten wir der örtlichen Baumschule einen Besuch ab und schauen uns das gigantische Sortiment an. Im Gespräch mit dem sympathischen Gärtner erfahren wir, dass aufgrund des regenarmen Sommers der Verkauf von Bäumen erst Mitte Oktober beginnt. Wir müssen uns also noch ein wenig gedulden, bis wir endlich Felsenbirnen und Mirabellen anpflanzen können und Fruitlands damit ein gutes Stück mehr dazu verhelfen, dass der Hof seinem Namen alle Ehre macht. Doch vorerst lassen wir uns zu den Beerensträuchern beraten und wählen schließlich zwei Jostabeeren und zwei gelbe Johannisbeeren als Erweiterung unseres Beerenbeets (was für ein schönes Wort!), das wir letzte Woche mit einem Grundstein aus drei roten Johannisbeersträuchern angelegt haben. Beim Lustwandeln durch das weitläufig angelegte Baumschulenareal lassen wir uns ferner zu einem echten Lustkauf verleiten, denn wir verlieben uns spontan in die wunderschönen Clematiskulturen und beschließen, zwei unterschiedliche Sorten dieser bunten Rankgewächse mitzunehmen, damit sie dem Zaun am Beerenbeet und dem Hof allgemein ein paar große Farbtupfer verleihen.

Zu guter Letzt kommt noch das Unvermeidliche: David „erlaubt“ Alex, in die Kräuterabteilung zu gehen und sich etwas auszusuchen. Fatal! Ausdauernde Kräuter sind doch mein gärtnerisches Steckenpferd. Ich liebe Kräuter! Besonders Minzen. Aber ich halte mich zurück und suche mir nur eine Apfelminze und eine Ingwerminze aus. Für die Sonnenfalle, die wir heute anzulegen gedenken, nehmen wir dann noch eine Fetthenne und ein Sempervivum und dann reicht es auch erstmal mit dem Pflanzenshopping. 55 Euro kostet der Spaß insegesamt, aber wir finden, dass das Geld damit gut angelegt ist.

Zu Hause angekommen, machen wir uns mit Mulch, Crowbar und Haue gleich an die Arbeit. Die vier neuen Beerensträucher werden verstreut vor dem Haus, nach Süden hin, angelegt; also dort, wo schon die anderen drei wachsen. Die beiden Clematis bekommen einen schönen sonnigen Platz am Zaun. Jetzt sieht die einst so platte, kahle Fläche vor dem Innenhof richtig bewachsen aus! Auch wenn die Sträucher noch klein sind, aber das wird sich im Laufe des nächsten Jahres ja ändern.

Eine halbe Stunde am Bahnhof

Da das Wetter schön ist, machen wir einen Spaziergang durch das Dorf und gucken uns den kleinen Bahnhof an. Von hier werde ich also demnächst frühmorgens nach Halle (Saale) aufbrechen, um mein Masterstudium anzugehen. Der Bahnhof ist nicht weit, das Städtchen ist klein, und es sind nur etwa fünfzehn Minuten Fußmarsch die hügeligen Schlackestraßen hinunter. Ein angenehmer Weg. Gegen viertel nach fünf nachmittags glotzen wir also am Bahnhof herum und stellen irgendwann fest, dass scharenweise Menschen mit Kameras auftauchen und sich wie auf ein geheimes Zeichen hin am Bahnsteig positionieren. Ein Ereignis! Wir wissen bloß nicht, welches. Wir tippen darauf, dass gleich ein gaaanz toller, außergewöhnlicher Zug hier vorbeifahren wird. Was sonst soll an einem Bahnhof vorbeifahren? Eine Draisine vielleicht, mit zwei Männern, die sich pumpend und schwitzend gegenüberstehen, vielleicht in schwarzweißgestreifter Gefängniskluft, und die dann mit 9 km/h quietschend an den Schaulustigen vorüberfährt, während man nur das Zwitschern der Vögel und das Klicken der Kameras hört, nach einer Minute gefolgt von einer zweiten Draisine, die von zwei uniformierten Polizisten bedient wird, welche nach jedem Hub hysterisch in eine Trillerpfeife blasen, das würde mir noch eher gefallen und wäre auch für mich durchaus des Wartens wert. Aus den Gesprächen der anderen Leute hören wir aber heraus, dass erstere Vermutung sich sicheren Quellen nach gegen halb sechs bewahrheiten wird („Das stand sogar in der Bildzeitung!“), und obwohl ich lieber die halsbrecherische Draisinenverfolgungsjagd gesehen hätte, entschließen wir uns, auf den Zug zu warten. Man muss ja die Feste feiern, wie sie fallen.

Bald färbt sich der Himmel über den Schienensträngen schwarz von dichten Dampfwolken, die eine noch schwärzere, gigantische uralte Eisenbahn ausschnauft, während sie in beeindruckendem Tempo heranrast. Ich knipse einige Fotos, so wie die anderen aufgeregten Hobbyfotografen und -fotografinnen um mich herum, und dann ist der Koloss auch schon vorbeigerattert und zieht sein eckiges eisernes Hinterteil aus unserem Blickfeld. Nichteinmal angehalten hat sie! Deswegen haben wir hier also gewartet. Naja. Unter schepperndem Klingeln öffnen sich die Schranken des Bahnübergangs wieder und wir gehen weg. Ich merke, wie die Leute uns irritiert hinterherstarren und einige verwirrt zu tuscheln beginnen. Jemand beruhigt jemand anderen hörbar: „Doch doch, da kommt gleich noch eine!“

Die zweite Dampflokomotive schenken wir uns aber und flanieren stattdessen wieder zurück nach Hause.

"when I hear the iron horse make the hills echo with his snort like thunder, shaking the earth with his feet, and breathing fire and smoke from his nostrils (what kind of winged horse or fiery dragon they will put into the new Mythology I don't know), it seems as if the earth had got a race now worthy to inhabit it." - Henry David Thoreau, Walden

„When I hear the iron horse make the hills echo with his snort like thunder, shaking the earth with his feet, and breathing fire and smoke from his nostrils (what kind of winged horse or fiery dragon they will put into the new Mythology I don’t know), it seems as if the earth had got a race now worthy to inhabit it.“ – Henry David Thoreau, Walden

Operation „Lounge“

Der Stall an unserem Wohnhaus soll übrigens bald zu einer lauschigen Lounge umgewandelt werden. Schon bei der ersten richtigen Begehung vor einigen Wochen war für mich offensichtlich, wie dieser Raum eigentlich auszusehen hat. David musste ich das Ganze zwar erst eindringlicher erklären — für ihn erschloss sich meine Vision nicht so auf den ersten Blick wie bei mir –, aber auch er ist nun davon angetan, was ich mir so vorstelle. Bis dahin ist es aber ein weiter, sehr weiter, Weg. Noch ist die Lounge ein ehemaliger verwahrloster Schweinestall mit verdreckten Wänden, dicken Spinnweben an den Decken und kotverkrustetem Boden. Doch heute fangen wir mit der Metamorphose an. Wie Zuckerwatte drehe ich die Spinnweben auf einen langen Stock. Nun kann man sich besser in dem Stall bewegen. David macht sich daran, mit Haue und Schaufel das zentimeterdicke vermoderte Heu-Exkremente-Gemisch vom Boden zu lösen und in die Schubkarre zu schippen. Ich sortiere den Krempel, der dort herumsteht, in die beiden Kategorien „Bäh, eklig, wegschmeißen! Wie lange liegt das hier schon?“ und „Wenn man das gründlich saubermacht, könnte man das eventuell sogar wieder verwenden wollen“. Nach dieser ersten Renigungsaktion ist der Stall zwar immernoch siffig und trist, aber schon ein gutes Stück weniger ekelerregend. Nach zwölf Stunden konstanten Lüftens entfällt sogar der brechreizerregende Gestank, wenn man den Stall betritt. Sobald der große Steinhaufen, der dort drin im Weg herumliegt, abgetragen und die restlichen großen Gegenstände ausgeräumt wurden, kann ich endlich die Innenwände kalken und ab da wird alles wieder gut. Bis dahin probiere ich mich an den verrosteten Eisenstangen der ehemaligen Schweinebucht (die übrigens später, in ihrer noch ausstehenden Glanzzeit, mal eine herrliche Bar mit Tresen, Barhockern, Spiegel und Getränkeregal sein wird), welche ich mit grobem Schleifpapier abschmirgle, bis der rostrote Staub mir meine Kehle austrocknet.

Die Vorteile des Dorflebens

Beim Rasenmähen offenbaren sich wieder einmal die Vorteile des Lebens auf dem Lande. Während David nämlich an der Grundstücksgrenze mäht, bleibt er auf einen Klönschnack am Zaun stehen und wird prompt für heute Abend zu einer Geburtstagsfeier in Nachbars Garten eingeladen. Mir allerdings ist nach dem langen, anstrengenden Tag eher nach Schlafen als nach Feiern zumute, obwohl ich natürlich ebenfalls eingeladen bin, deshalb verkrieche ich mich um neun Uhr lieber ins Bett, während David auf ein, zwei Bierchen rübergeht und an dem Abend allerhand Leute aus der Nachbarschaft kennenlernt, die allesamt, so schließe ich aus seinen Erzählungen, ziemlich cool drauf sind und sich sogar darauf freuen, bei uns irgendwann ab nächstem Jahr gutes, gesundes Gemüse zu bekommen. Ich freue mich auch darauf!

Lazy Sunday

Am Sonntagmorgen treten dann die Nachteile des Dorflebens zutage: David hat ’nen dicken Schädel und kommt gar nicht in die Puschen. Nur kurz steht er auf, als uns der Vorbesitzer des Hofs besuchen kommt. Als dieser wieder weg ist, sagt David: „Ich leg mich nochmal ein Stündchen hin“, und schläft bis 18 Uhr unter dem großen Baum im Innenhof. Naja, nicht ganz durchgängig — zwischendurch rafft er sich auf und wir gestalten gemeinsam eine Sonnenfalle für unser Beerenbeet.

Zu einem faulen Sonntagnachmittag gehört ein schattiges Plätzchen unter einem großen Baum und das konstante Geräusch träge summender Fliegen, gepaart mit akuter Unlust, jemals wieder aufzustehen

Zu einem faulen Sonntagnachmittag gehört ein schattiges Plätzchen unter einem großen Baum und das konstante Geräusch träge summender Fliegen in der trockenen Hitze, gepaart mit akuter Unlust, jemals wieder aufzustehen

Here comes the sun

Für die Sonnenfalle schleppt David mit einer Schubkarre alte Backsteine heran, die wie oben erzählt im Stall herumliegen. Hier draußen sind sie definitiv besser aufgehoben und haben — ganz Permakultur — fortan natürlich mehrere Funktionen: Die etwa parabelförmig um das Beet aufgeschütteten Steine speichern die Wärme und geben sie nachts wieder ab. Dadurch entsteht ein Kleinklima südlich des Steinwalls. Durch ihre helle Farbe reflektieren sie außerdem Licht, worüber sich die davorstehenden Pflanzen ebenfalls freuen. Durch die vielen Hohlräume und Ritzen zwischen den lose durcheinanderligenden Steinen wird zusätzlicher Lebensraum für allerlei Tiere geschaffen. Die Sonnenfalle fängt auch ein wenig den Nordwestwind ab und dient auch als optische Begrenzung. Sie ist der Rand zwischen Beerenbeet und Innenhof, und Rändern kommt in der Permakultur besondere Bedeutung zu, denn es heißt, sie seien wertvoll und sollten daher gut genutzt werden. Ich denke, dass wir das mit der Sonnenfalle aus Backsteinen ganz gut hinbekommen haben. Last but not least ist sie auch was fürs Auge. Wir jedenfalls finden die chaotische Aufschüttung von Steinen hübscher als so manche akkurat gemauerte Wand, allein schon wegen der drei extraterristrisch anmutenden Semperviva und der Fetthenne, die wir vorsichtig in einige der Steinritzen pflanzen. Bis jetzt ist unsere Sonnenfalle zwar erst rund zwei Meter lang, aber sie sieht schon sehr toll aus und verspricht, mal ein richtig imposantes Gebilde zu werden. Ideen und alte Steine haben wir ja genug.

Sun, sun, sun, here it comes

Sun, sun, sun, here it comes

Da mir die großzügigen Lücken zwischen unseren sieben Beerensträuchern zu langweilig sind, schleppe ich aus der hinterletzten Ecke des Grundstücks einen dicken von der Sonne gebleichten Stamm knorrigen Totholzes heran und drapiere es im Beet. Es bricht hoffentlich auch ein wenig den immerwährenden Nordwestwind, sodass den Sträuchern vielleicht etwas weniger zugesetzt wird (manchmal fetzt der Wind ziemlich turbulent über unsere noch unbebauten Äcker), und kommt dabei weiterhin seiner Hauptbestimmung als Insekten- und Pilzhotel nach. Jetzt hat unsere Zone 1 — die Zone unmittelbar um das Wohnhaus herum — also schon ein ganz anderes Gesicht!

Das war’s soweit mit der Arbeit in der Sommerhitze. Trotz fortgeschrittenen Jahres ist es doch ziemlich heiß in der Sonne, aber nichtsdestotrotz freuen wir uns über die schönen Tage, an denen wir hier noch soviel um das Haus herum schaffen können, bevor es endgültig kalt und herbstlich wird.

Noch mehr Mist

Während David den größten Teil des Tages unterm Baum verschläft, fahre ich sage und schreibe elf Schubkarren voller Kuhmist aus der Scheune. Damit habe ich eine Fläche von etwa drei Quadratmetern ausgemistet. Schade, dass die Scheune aber mehr als zehnmal soviel Grundfläche hat. Ich schätze, dass ich etwa achtzig Schubkarren voll abtransportieren muss. Die Arbeit ist ziemlich unangenehm. Die oberste Schicht Heu ist wohl relativ neu und lässt sich mit dem Federbesen gut zusammenrechen, jedoch befindet sich darunter eine massive Schicht aus Kot, die ich ja schon aus den anderen Stallungen gewohnt bin und die sich nur durch die Bearbeitung mit der Haue entfernen lässt. Mistgabel? Fehlanzeige. Die gut 15 bis 25 Zentimeter mächtige Schicht aus Exkrementen ist so zusammengepappt, mit Urin fermentiert und alt, dass man mit der Forke gar nicht reinkommt, auch nicht mit dem Spaten. Und die Haue ist es dann, die mir während des Befüllens der elften Schubkarre den Strich durch die Rechnung macht, indem ihr Griff einfach durchbricht. Einfach so vor den Kotmassen kapituliert. Kann ich ihr nicht verdenken. Zum Glück haben wir noch eine Haue in Dortmund. Mal sehen, wie lange die diese Arbeit durchhält. Ich werde sie unbeirrbar fortsetzen, bis auch das letzte Kilo Scheiße zur Humusbildung auf der Wiese liegt und all unsere Nebengebäude frei von Schmutz und Gestank sind. Heute sind wir diesem Ziel schon wieder ein gutes Stück nähergekommen.