Der Sommer ist vorbei. Der Winter steht vor der Tür. Wir haben viel erreicht.

Rückblickend waren die letzten Monate für uns sehr erfolgreich. Das wird mir besonders deutlich vor Augen geführt, wenn ich im Windfang bin und mein Blick auf die 25 Hokkaidokürbisse fällt, die dort zum Trocknen liegen. Weitere 14 Hokkaidos wurden schon einige Tage zuvor geerntet und teilweise auch schon gegessen oder an liebe Leute verschenkt. Und etliche liegen noch an den sterbenden Ranken in den Beeten und dürfen bis Ende Oktober vollständig ausreifen.

Ja, für unser erstes Gartenjahr ist die Ernte wirklich gut ausgefallen, darüber schrieb ich ja bereits im letzten Beitrag. Aber auch in anderen Bereichen macht unser Hof Fortschritte.

Die Zivilisation hält Einzug

Im Juni kauften wir uns einen Boiler, den einer unserer Nachbarn, ein gelernter Mann vom Fach, uns im Keller einbaute. Nach einigen Schwierigkeiten haben wir nun also seit ein paar Monaten endlich fließendes heißes Wasser im Badezimmer! Was für ein Segen und immense Verbesserung der Lebensqualität! David und ich feierten diese Errungenschaft ausgiebig, indem wir uns ein schönes heißes Bad in unserer großen Eckbadewanne gönnten, die damit endlich einmal zum Einsatz kam. Allerdings fasst die Wanne so viel Wasser, dass derartige Badesessions sich sehr selten mit unserem guten Gewissen vereinbaren lassen und für uns ein spärlich gesäter Luxus bleiben sollen. Aber eine kochendheiße Dusche mit unserer funkelnagelneuen Duscharmatur ist dafür Wohltat genug. Ich lerne jedes Mal, wenn ich unsere gemeinsam sorgfältig ausgesuchte Handbrause aus der Halterung nehme oder den ebenfalls von uns gemeinsam ausgewählten hübsch geschwungenen Wasserhahn des Waschbeckens mit seinem geschmeidigen Kugelgelenk anstelle, dass man bewusst tiefe, ehrliche Dankbarkeit für alltägliche Gebrauchsgegenstände der westlichen Welt empfinden kann.

Und in einer weiteren Form ist Fruitlands nun Teil der zivilisierten Kommunikationswelt geworden: Nach einem monatelang andauernden Hin und Her hat es endlich funktioniert, unser Haus an das Telefonnetz und Internet anschließen zu lassen. Somit haben wir seit diesem Jahr ein Festnetz mit Flatrate und Internet mit diversen WLANs.

Nach einem Spontanplenum am gestrigen Tag entschieden wir uns, diese Woche auch den Anschluss an die Abfallentsorgung zu beantragen. Das haben wir bislang vor uns hergeschoben, einfach weil wir so gut wie keinen Restmüll produzieren. Aber ein bisschen was fällt eben doch an, und langsam ist es mir zu blöd, alle paar Wochen mit meiner Mülltüte zum nächsten öffentlichen Mülleimer am Laternenpfahl zu latschen und sie dort hineinzustopfen. Außerdem gehört die Asche des Holzofens ja auch in den Restmüll, allein dafür lohnt sich die Anschaffung einer solchen Tonne.

Und just an diesem Tage wurde uns eine weitere Wendung der Dinge beschert, als eben unangekündigt ein höflicher Herr mit Anzug und Krawatte vor meiner Haustür stand, etwas hilflos ob der Tatsache, dass wir keine Türklingel haben, und deswegen stattdessen etwas unbeholfen am Windspiel neben der Eingangstür herumrüttelte, der mich mit den Worten „Hallo; Sie bekommen ein Erdkabel.“ begrüßte. Was er mir damit sagen wollte, war, dass der Energieversorger die hier im Osten üblichen Oberlandleitungen demontieren möchte und unser Strom dafür aus elegant verlegten unterirdischen Kabeln zu uns fließen wird. Nun gut, da für uns keine Kosten anfallen, sollen die das mal ruhig machen. Uns persönlich kommt das gelegen, weil da bei uns ein Baum wächst, der mittlerweile gefährlich groß geworden ist und ins Oberlandkabel hineinragt, was bei einem Sturm unschöne Folgen nach sich ziehen könnte. Der Baum darf jetzt also ungehindert weiterwachsen und das Kabel kommt im Frühjahr weg. Am interessantesten fand ich jedoch die Reaktion des Herren auf den Zustand unseres Hofes: Er stammelte die ganze Zeit nur davon, dass hier ja noch „so viel Arbeit“ reingesteckt werden müsse, und beim Anblick des Hausdaches bekam er sichtlich die Krise, teilte mir fassungslos mit, dass da Löcher im Dachfirst seien und Teile fehlten (ich musste mich arg zusammenreißen, um nicht erschrocken auszurufen: „Was? Wo? Oh mein Gott, das ist mir ja bis jetzt gar nicht aufgefallen!“), und er verstummte schließlich aus Höflichkeit, aber ich sah ihm an, dass er es nicht fassen konnte, dass ein Dach so aussehen kann und man es nicht sofort nach dem Kauf ersetzen lässt. Es ist interessant, unseren Hof durch die Augen einer anderen Person wahrzunehmen, die nicht an den Anblick gewöhnt ist. Ich fühle mich dann wie ein im Chaos hausender Waldschrat. Und es geht mir gut damit.

Aber zurück zu dem, was hier noch so passiert ist.

Ich weiß

Das Haupthaus „The Hive“ …

Eine weitere positive Entwicklung können wir in Sachen Ästhetik verzeichnen. In den Sommermonaten war ich fleißig und habe die Garage, die Meditationshütte, den Windfang und die südliche Fassade des Haupthauses weiß gestrichen. Jetzt sieht es hier viel, viel, vielvielvielvielviel schöner aus! Die Gebäude waren ja alle ziemlich hässlich-schmutziggrau und lieblos verputzt. Auf Schönheit wurde dabei kein Wert gelegt, sondern nur darauf, das Billigste vom Billigsten zu verwenden. Leider ist das alles noch nicht komplett fertiggestrichen, aber es ist ein sehr guter Anfang. Am Haupthaus musste ich eine große Fläche freilassen, da wir dort erst noch die Putzabplatzungen reparieren müssen. Der Mann im Baustoffhandel war bei der Wahl des richtigen Außenputzes für eine 100 Jahre alte Lehm-Naturstein-Wand überfragt; ich hatte das Gefühl, ich wüsste mehr als er. Nächstes Jahr werden wir einen Fachhandel in Leipzig besuchen, der sich auf Naturbaustoffe spezialisiert hat, und dann mal schauen, ob wir Silikatputz, Luftkalkmörtel oder außenfassadentauglichen Lehmputz auftreiben können, der an der Wand kleben bleibt. Bis dahin leuchtet unser so halb weiß, halb hässlich verputzter Hof bis zur Straße hinunter und verdeutlicht allen, dass hier etwas passiert. Das Pilgrim House hingegen ist nach wie vor unverputzt; auch das steht für das kommende Jahr auf der To-do-Liste.

… und auch die Garage sieht in weißem Gewand viel edler aus.

In den Eingeweiden rumort es

Die Innenwände des Windfangs habe ich auch gestrichen. Sie waren extrem eklig; irgendwie so abgenutzt, abgeranzt dreckig. Dort stand auch seit jeher eine alte Eckbank, die eigentlich recht gut aussah, aber widerwärtig nach Katzenpisse stank. Diese Bank zerlegte ich kurzerhand zu Brennholz, genau wie einen hässlichen alten Schrank, der ebenfalls seit dem Hauskauf im Windfang stand. Ich sehe es nicht mehr ein, in meinem Zuhause immer nur hässliche Möbel um mich herum zu haben, die ich nicht selbst ausgesucht habe. Stattdessen räumte ich den Windfang auf und stellte den Esstisch und Holzstühle hinein. Der Raum wirkt jetzt durch die weißen, sauberen Wände, die große Fensterfront und die wenigen Möbel hell und freundlich wie ein Wintergarten. Wir benutzen ihn seit Wochen als Aufenthaltsraum, Wohn- und Esszimmer, so lange die Temperaturen es zulassen. Im Winter wird der Windfang primär Herberge für die frostfrei zu überwinternden Chilipflanzen, Stevia, Estragon, die Feige und die Kiwi sowie Lagerplatz für Hokkaidos sein. Auch haben David und ich die restlichen alten Rigipsplatten von der Decke gerissen und die Elektrik darunter sortiert, ein Gewirr von alten und neuen Stromkabeln. Die Decke möchten wir mit Holzpaneelen verkleiden und LED-Spots einbauen, sobald wir eine Bezugsquelle für Holzpaneele mit „100% FSC“-Siegel aufgetan haben. Hat jemand einen Tipp, wo es die geben könnte?

Leider haben wir es nicht geschafft, die Räume im Erdgeschoss neu zu verputzen. Der alte, schimmelige Putz muss ersteinmal runter. Mittlerweile haben wir das — mithilfe toller BesucherInnen — zur Hälfte geschafft und es sieht im Haus mehr denn je aus wie eine große Baustelle. Den Sommer über schliefen wir, sofern kein Besuch da war, oben im ersten Stock. Der Raum dort ist der schönste im Haus, denn er ist gut verputzt und hat Laminatbelag und neue Fenster. Doch im Winter ist es dort arktisch kalt und ich muss ab nächstem Monat mein Quartier ins Wohnzimmer unten umsiedeln.

Mehr Anbaufläche

Besonders zufrieden sind wir ja, wie ich berichtete, mit dem essbaren Output unseres Grund und Bodens. Mit Kürbissen, Knoblauch und Erbsen können wir uns bis zur nächsten Ernte zu 100% aus eigenem Anbau selbst versorgen und auch die Kartoffeln sollten zumindest bis zum Frühjahr reichen. Jetzt möchten wir dringend mehr Anbaufläche anlegen. Die Wahl fiel auf die südöstliche (noch namenlose) Wiese, quasi unser „Vorgarten“ vorm Haus. Ein großer Vorgarten von ca. 2.000 Quadratmetern …

Ein guter Anfang für das selbstversorgerische Leben. Aber da geht noch mehr.

Wir haben fast alles an Grünland seit Juli 2016 wild wachsen lassen und Boden, Vegetation und Tierwelt hat sich dadurch sichtlich erholt. Zur Zeit des Hauskaufs waren die Flächen von Rindern beweidet; es wuchs nur ratzekurzes Gras, sonst nichts. Dieses Jahr verwandelte sich unser Hektar Land durch das Nichtstun in eine großflächige bunte Wildblumenpracht mit rosa Kornblumen, rotem Klatschmohn, violett blühenden Disteln, weißen Kamilleblüten, gelbem Hahnenfuß, verschiedenen puscheligen Gräsern, Brennnesseln, wilden Leguminosen, Hirtentäschel, Beifuß, Melde, Klee, Kletten, Schafgarbe und vielen anderen Arten mehr. Überall kroch, hüpfte, flatterte, sirrte und summte es. Unser Nachbar von gegenüber findet das komisch und kann das nicht nachvollziehen. Zum wiederholten Male schlägt er die Anschaffung von Schafen vor, die doch „die Arbeit“ für einen machen können. Er denkt offenbar, wir würden die Wiesen so wild wachsen lassen, weil wir mit „der Arbeit“ überfordert sind und es alleine nicht schaffen, die Grünflächen zu mähen. Ihm ist unser Grundstück ein Dorn im Auge, glaube ich manchmal. Trotzdem kam er uns gestern besuchen, um uns einen Kürbis aus seinem kleinen Gemüsegärtchen zu schenken. Als er hörte, dass wir die Wiese vorm Haus mähen möchten, um dort einen Acker für den Gemüsebau anzulegen, bot er sofort an, uns seinen Balkenmäher zu leihen. Im Zusammenspiel mit unserem Benzinmäher und der Motorhacke, die wir letzte Woche geschenkt bekamen, dürfte unser Traum von der großen Selbstversorger-Anbaufläche noch diesen Herbst Realität werden. Ich freue mich!

Im Vordergrund der nur 12 Quadratmeter kleine, aber extrem ertragreiche Hortulus (lat. „Gärtchen“) mit Rhabarber, Wildtomaten, Chili, Kümmel, Mangold, Cosmea, Minzen, Kürbis, Radieschen, Zitronenverbene, Stevia, Estragon, Kohlrabi, Thymian, Erdbeeren, Cranberries, Salbei, Oregano, Schnittlauch, Wildkohl, Eberraute, Kapuzinerkresse, Waldmeister und Sonnenblumen

Private Entwicklung

Privat mache ich auch eine Wandlung durch. Seit Ende Juli lebe ich wieder dauerhaft auf Fruitlands. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich einen Ort, den ich mein Zuhause nennen kann, meine Zuflucht, wo ich mich wohl fühle. Bin ich woanders, etwa in Davids Zweitwohnsitz in Unna, habe ich Heimweh. Bin ich dann wieder hier, so bin ich unendlich dankbar. Ich habe meine Adresse bei allen relevanten Stellen umgemeldet, mit der Gewissheit, das nie wieder tun zu müssen. Ich habe mir hier Ärzte und Ärztinnen gesucht mit dem Wissen, dass sie für längere Zeit für mich da sind und ich nicht nach einem oder zwei Jahren wegziehen werde und mir dann neue suchen muss. Und ich habe sogar im August hier direkt im Dorf eine Arbeit gefunden! Ich verteile samstags Werbeprospekte und ich liebe den Job. Ich arbeite für mich allein, kann mir meine Zeit, das Tempo und die Route selbst bestimmen, bin stundenlang draußen, habe dadurch die komplette Dorfstruktur kennengelernt und habe viel Bewegung. Leute erkennen mich, auch wenn ich nicht arbeite, auf der Straße wieder und fragen mich, in welchem Haus ich wohne und wie es mir hier gefällt. Ich liebe die erholsame Umgebung hier. Ich genieße die Stille, die Ruhe, die Weite um mich herum, die Geräusche der Natur. Das ohrenbetäubende Konzert der Heuschrecken in der Abenddämmerung. Die verschiedenen Vogelstimmen. Die in der Dunkelheit umhersausenden Fledermäuse, das Plätschern des Regens, ja sogar die samstägliche Emsigkeit meiner Nachbarn, wenn sie ihre Rasen mähen oder an ihren Häusern herumwerkeln. Ich mag es, alle Leute auf den Straßen zu grüßen und zum belanglosen Smalltalk stehenzubleiben (ich werde glaube ich immer besser darin). Ich genieße es, wie mein Selbst zur Ruhe kommt und genügsam mit seiner Umgebung ist. Manchmal verlasse ich das Grundstück tagelang nicht, weil keine Notwendigkeit besteht. Bin ich ausnahmsweise mal in einer der nächsten Städte der Umgebung, stresst mich die Hektik und das Zugepflasterte, Vollgestopfte, obwohl es nur popelige Kleinstädte mit 20.000 EinwohnerInnen sind. Bin ich in einem Supermarkt, was nur alle paar Wochen vorkommt, dann fühle ich mich mittlerweile unwohl dort. Der Anblick all dieser fertig verarbeiteten Konsumgüter erstaunt und überfordert mich und ich denke an mein selbstgeerntetes Obst und Gemüse, das mir soviel kulinarische Befriedigung verschafft und nicht randvoll mit giftigen Chemikalien ist. Es gibt viel zu viele Sachen. Viel zu viele. In Supermärkten fühle ich mich fremd und unwohl. Trotzdem brauche ich hin und wieder natürlich Dinge von dort und kaufe manche der von allen Seiten auf mich einkreischenden Konsumgüter; Bananen, Dörrfrüchte, Kokosmilch, Cuisine, Räuchertofu, Hirse, Sojamilch, Kakaopulver, glutenfreie Nudeln. Aber ich kaufe keine überflüssigen Dinge mehr und vor allem bin ich jedes Mal froh, wieder von dort weg zu sein und nach Hause zu kommen. Fruitlands ist Novocain für die Seele.

Die eigene Ernte auf dem Teller

Ich bin dankbar, dieses Gefühl des Angekommenseins zu erleben und ein Zuhause zu haben. Ich wünsche mir nur noch, bald hier in der Umgebung gleichgesinnte Freunde zu finden, mit denen ich gemeinsam etwas unternehmen und mich austauschen kann. Aber ich weiß, dass das Universum für mich sorgt.

Der Winter kann kommen

Dass der langersehnte Sommer nun vorbei ist, habe ich schon lange eingesehen, und wir blicken gespannt nach vorn auf die kommenden Entwicklungen. In wenigen Tagen geht das Wintersemester los und ich werde wieder zur Uni gehen. In der Lounge warten viele Klafter Brennholz auf die kälteren Tage und wir planen die Anschaffung eines zusätzlichen Gasofens zur weiteren Verbesserung der doch recht harschen Lebensbedingungen in einem ungedämmten, heizungslosen Bauernhaus auf einer Hügelkuppe mit einer Außentemperatur von bis zu -15°C in den Wintermonaten. Kürbisse, Trockenerbsen und Kartoffeln sind eingelagert, Tomaten eingefroren oder zu Sauce verarbeitet, Chilischoten, Stevia und Estragon trocknen für die weitere Verarbeitung zu Gewürzpulver, der Knoblauchzopf hängt in der Garage, händeweise geriebene Pfefferminze sorgt für Pfefferminztee, Holundersaft und Spitzwegerichsirup für kränkelnde Tage ist schon eingekocht und gläschenweise Apfelmus und Birnenkompott eingeweckt. Die Vorräte sind aufgestockt, das Grundstück wird langsam winterfest gemacht und alles für die kalte Jahreszeit vorbereitet.