Wir setzen die ersten Pflanzen auf unser Grundstück und misten aus!

Ersteinmal mähen

David mäht ungefähr so gerne Rasen, wie ich Kuchen esse. Deswegen verwandelt sich dieses Wochenende der zugewachsene Innenhof in rasantem Fortschritt urplötzlich in einen spießigen Vorzeigevorgarten mit ratzekurzem Grün. Macht schon was her, so eine frischgemähte Fläche. Alles sieht gleich viel ordentlicher aus. Trotzdem liebe ich wilde Wiesen viel mehr. Aber als psychologischer Kick für das ultimative „Siehste, wir kommen voran!“-Erfolgserlebnis ist ein gemähter Rasen unschlagbar! David mäht also den Innenhof. Dann mäht er die lange Hofeinfahrt runter und wieder rauf. Er mäht auch die Zufahrt zum Acker hinterm Haus. Zwischen den großen Holzstapeln mäht er auch. Im Meditationsbereich wird auch gemäht. Und zu guter Letzt mäht er außerhalb unseres Grundstücks an der Straße den Grünstreifen an der gesamten Länge unseres Zauns; etwa 65 Meter. Damit man sieht, dass hier endlich was passiert. Naja, und weil David einfach furchtbar gern Rasen mäht.

David mäht.

David mäht.

Die ersten Pflanzen halten Einzug auf Fruitlands

Der Vorteil an dieser Vorliebe ist, dass er damit bergeweise Mulch produziert, den wir auf dem Hof natürlich gut gebrauchen können! Aus Dortmund haben wir dieses Mal etliche vorgezogene Pflanzen mitgebracht, die ich dieses Wochenende in die freie Wildbahn (= irgendwo auf unser Grundstück) pflanzen möchte, also mache ich mich auf die Suche nach einem passenden Plätzchen. Ich werde schnell fündig, weil es sich sofort anbiedert: Neben einem der beiden Brunnen lag offenbar längere Zeit eine große viereckige Plastikwanne von etwa einem Quadratmeter Größe, und offenbar wurde sie erst kürzlich von ihrem angestammten Platz weggeräumt. Jedenfalls springt mir sofort das krautfreie Viereck blanken Bodens in die Augen, das nur noch umgegraben werden muss. Direkt neben dem Brunnen mit dem Grundwasser. Und schön sonnig gelegen. Besser geht es kaum! Da unser Boden allerdings sehr sehr hart und lehmig ist, komme ich mit dem Spaten nicht weit — im wahrsten Sinne des Wortes: vielleicht nur wenige Millimeter weit in den Boden. Aber spitzfindig wie ich bin, habe ich aus unserem Dortmunder Garten ein hilfreiches Werkzeug zu eigens diesem Zweck mit mir geführt, nämlich einen Crowbar. Die Idee kam mir, weil ich während meiner Zeit in Indien, als ich dort Bäume für die Wiederaufforstung des lokalen Urwalds gepflanzt habe, eben jenes Werkzeug täglich in Gebrauch hatte, ist der rote Wüstenboden dort doch ungefähr genauso schwer und hart wie unsere fruchtbare Hoferde. Folglich wusste ich um die erfolgsversprechende Nutzung des Crowbars, und weil ich wie gesagt ein ebensolches Objekt im Fundus unseres Gartens ausfindig machte, bin ich nun bestens ausgerüstet, um die Erde ein wenig für das Bepflanzen vorzubereiten und so halbwegs urbar zu machen. Die Arbeit geht mir schnell von der Hand und in nicht einmal einer halben Stunde ist das Quadrat aufgelockert. Wir zerkrümeln die kantigen Schollen so gut wie möglich (den Krümeler habe ich in Dortmund vergessen) und mischen Asche und Holzkohle aus der Feuerstelle in die oberste Bodenschicht, um ihr ein bisschen mehr Struktur zu geben. Außerdem hoffe ich, dass die Kohle sich mit Nährstoffen auflädt und diese wieder an den Boden abgibt, wenn ich das Stück Land mit Brennnesseljauche dünge. Das Aufladen hätte ich eigentlich vorher machen müssen/wollen, aber irgendwie habe ich es verpeilt, das vorzubereiten und vorher Jauche anzusetzen. Der Boden ist jetzt zumindest bis zu einer Tiefe von 5 bis 10 Zentimetern aufgelockert und so wenig wie möglich durcheinandergeworfen. Ich hoffe, das Bodenleben erholt sich bald von der Prozedur. Jetzt setze ich unsere Pflänzchen: Grünkohl, Kohlrabi, Steckrüben, wilde Rauke, Schokoladenminze. Zum Schluss natürlich noch eine kuschelige dicke Schicht Grasmulch auf das Beet und zwei Eimer frisches Brunnenwasser für die durstige Horde. Fruitlands hat sein erstes Gemüsebeet!

fruitlands-beet

Noch im Begeisterungsrausch, weil das Umgraben oder vielmehr Auflockern des Bodens jetzt doch so gut geklappt hat, fahren wir zum Gartenmarkt und holen uns drei Johannisbeersträucher, die wir vors Haus am Rande des Innenhofs in die Erde setzen. Ganz so, wie ich es durch meine langanhaltenden Permakulturrecherchen gelernt habe, pflanze ich gleich mehrere „Stockwerke“ an: Johannisbeere als höchste Pflanze, darunter Rauke, darunter Minze. Und den Mulch nicht vergessen!

fruitlands-jobeeren

Drei Johannisbeeren warten ungeduldig aufs Eingepflanztwerden

Ein grausiger Fund

Nach all dem Pflanzaktionismus habe ich Lust, den ehemaligen Entenstall auszumisten. Der Entenstall ist ein ca. vier Quadratmeter kleines Gebäude, das etwas abseits vom Geschehen liegt und mir meinen Traum von der eigenen Meditationshütte erfüllt. Doch bevor man hier zu sich selbst finden kann, muss mit der traurigen Vergangenheit dieses Häuschens abgeschlossen werden. Es ist ziemlich heruntergekommen und verdreckt. Hier wurden einst Personen auf engstem Raum — ich hoffe, wenigstens nur nachts und nicht auch tagsüber — eingepfercht, bis sie getötet wurden. Der Boden des Entenstalls besteht ausschließlich aus verrottetem Stroh und Exkrementen. Ich nehme eine Haue und beginne, die widerliche schwarzgammelige Masse abzutragen. Nach etwa fünf Zentimetern stoße ich tatsächlich auf harten Steinboden. Der Stall ist mit Terrazzofliesen ausgelegt! Darüber freue ich mich. Es dauert aber eine längere Zeit, bis auch die letzte Schaufel Scheiße aus dem Stall gewuchtet wurde. Alles in Allem rund zehn Schubkarren voll. Zehn Schubkarren auf vier Quadratmetern!

Ein Bodenbelag aus Exkrementen und vergammeltem Stroh

Ein Bodenbelag aus Exkrementen und vergammeltem Stroh

Am nächsten Tag möchte ich gerne das obere Stockwerk des Stalls inspizieren und steige eine Leiter hinauf zu der kleinen Holztüre in der Fassade. Der kleine Raum unterm Dach ist mit noch mehr Exkrementen verkrustet, aber im Gegensatz zu dem, was ich dort noch erblicke, ist das noch harmlos. In dem Raum liegt ein Skelett. Eiskalt läuft mir die Gänsehaut den Rücken runter. Still und bleich liegt der Rest des kleinen Körpers in dem abgeriegelten Verschlag. Wie lange schon? Und warum? Es gibt wohl nur zwei Möglichkeiten: Entweder ist diese arme Person dort auf mehr oder weniger natürliche Weise verstorben und wurde dann einfach dort liegengelassen … oder sie war dort lebendig eingesperrt und ist dort qualvoll verhungert und verdurstet. Beide Szenarien finde ich schrecklich und traurig zugleich. Mir ist deswegen sehr unwohl. Wäre ich esoterisch, würde ich sagen, dass von diesem Ort negative Schwingungen ausgehen. Umso mehr habe ich den großen Wunsch, aus dem ehemaligen Stall etwas Wunderschönes zu machen, in dem man sich gerne aufhält. Irgendwie möchte ich es schaffen, das negative Karma zu vertreiben und ins Positive umzukehren. Das geht wahrscheinlich nur mit Zuversicht und Vertrauen in uns selbst. Irgendwann wird dies ein Ort sein, an dem man zur Ruhe kommt.

Gedanken zu dem, was einst war, und nicht mehr sein wird

Jetzt könnte ich natürlich direkt mit der Scheune weitermachen, die ungefähr zehn Mal so groß ist und in der das Heu und der Kuhmist auch ungefähr zehn Mal so hoch liegen. Aber dazu fehlt mir gerade echt die Motivation. Jedoch habe ich mir frühmorgens, als noch alles in tiefem Schlummer lag, die Zeit genommen, in Ruhe durch die Scheune zu gehen. Das habe ich nämlich noch nie gemacht, denn dort drin gibt es nicht wirklich etwas zu sehen. Sie ist gefüllt mit Heu und Mist und sonst nichts. Aber an den Wänden hängen Ketten und eiserne Haken, auch schwere Ringe und mit Ketten bestückte Holzkonstruktionen. Alles stumme Zeugnisse einer hierarchischen, machtgierenden und weltweit grassierenden, eingefahrenen Denkweise, in der es selbstverständlich ist, jemanden einer anderen Spezies zu unterdrücken, für die eigenen Zwecke auszubeuten und schlussendlich bei Nichtgefallen — oder Unrentabilität, kurzerhand zu töten, nur um zur allerletzten Krönung dieses skrupellosen Trauerspiels die sterblichen Überreste ebenfalls frei von jeder Pietät auf verschiedenste unaussprechlich grausame Art und Weise zu schänden und zu missbrauchen. Was ich sehe, macht mich traurig. Ich verstehe den Sinn und Zweck der einzelnen Objekte nicht, aber ich weiß, dass sie allesamt nur einem einzigen Nutzen unterlagen: Der Unterdrückung von nichtmenschlichen Personen. Hier sind viele schlimme Dinge passiert. Wieder einmal, und diesmal eindringlicher als zuvor, mache ich mir Gedanken darüber, ob es überhaupt richtig ist, diese Stätten fortan für lebensbejahende, schöne Dinge zu verwenden. Ist es nicht ein Verhöhnen derer, die hier jahrelang leiden mussten, wenn jetzt Lachen und Freude diese Räume erfüllt? Baue ich nicht damit auf Ruinen aus Tränen eine Stadt aus Gold? Doch welche anderen, angemesseneren Möglichkeiten habe ich? Es bliebe nur, eine Gedenkstätte daraus zu machen. Eine Gedenkstätte, in der nur wenige gedenken wollen und können, denn die Menschheit steht leider erst am Beginn eines großen Wandels hin zu Ethikbewusstsein und Mitgefühl für Andersseiende. Noch greifen in der Gesellschaft die Schlagworte „Nachhaltigkeit“, „Bio“, „human“ und „artgerecht“ als beruhigende Ausrede für ein unbehelligtes Praktizieren von Speziesismus. So lange alle „auch nur ganz wenig Fleisch“ essen, so lange wird es Leid, Angst und Töten geben. So lange alle „nur hin und wieder mal“ Muttermilch trinken, Vogeleier und Erbrochenes von Bienen verzehren und sich in mumifizierte Häute kleiden, so lange werden die Menschen gefangen sein in einem gedanklichen Teufelskreis, durch den Kriege entstehen, Menschen vergewaltigt werden und Kinder verhungern, denn so lange regiert in jedem einzelnen Individuum die Ansicht, dass es vollkommen in Ordnung sei, sich über eine schwächere Person zu stellen und sich von ihr einfach das anzueignen, was man haben will.

Vielleicht, denke ich, vielleicht mache ich etwas in der Art; eine Ausstellung oder ein Kunstprojekt, um den alltäglichen Schrecken, der von den meisten nur belächelt wird, in den Fokus und damit ins Bewusstsein zu rücken.

Was wir dieses Wochenende aber ebenfalls noch entmisten, ist der andere, große Stall direkt am Hive, der irgendwann als Garage dienen soll. Auch hier gibt es viel zu tun. Auch hier karren wir etliche Schubkarren von dannen und freuen uns über die Transformation zum gepflegterem Erscheinungsbild. Es wird langsam, es wird.

Last but not least – Pflaumen!

Zu guter Letzt stellen wir fest, dass die Pflaumen noch nicht ganz „durch“ sind. Viele hängen noch und sehen ganz gut aus. Da Schwiegermuddern welche bei uns geordert hat, steige ich in einen der Pflaumenbäume und pflücke wieder eine große Schale voll.

Dieses Wochenende haben wir also nicht im Wohnhaus gearbeitet, sondern in den Nebengebäuden und draußen. Wir fühlen uns hier immer mehr zu Hause. Es ist schön zu sehen, wie sich durch uns das Erscheinungsbild des Hofes langsam, aber sicher ändert. Und es ist schön, auch einfach mal auszuspannen. Im mitgebrachten Sessel in der Sonne zu sitzen. Einen Spaziergang zu den Wäldern und Feldern in der unmittelbaren Nähe zu machen. Morgens barfuß durch die taunasse Wiese zu laufen. Mit Leo im weichen Gras zu liegen. Alle Ecken und Winkel zu erforschen und zu entdecken. Auszuschlafen und sich am Sonntagvormittag gemütlich ins Bett zu kuscheln. Nachts im Innenhof zu sitzen und dem Grillenzirpen um uns herum zu lauschen. Kraft zu schöpfen aus diesem Ort und über das nachzudenken, was hier entstehen wird.

fruitlands-pflaumen