Wir Citoyens luden zum geselligen Pfingstwochenende auf Fruitlands.
Ganz, aber wirklich nur ganz langsam, wird Fruitlands einigermaßen vorzeigbar. Und so luden wir mit fünftägigem Vorlauf ein paar Leute aus unserem engsten Freundes- und Familienkreis auf ein langes Pfingstwochenende ein. Alle werden vorsichtshalber vorgewarnt: Das Wohnhaus ist innen wie außen nach wie vor eine Baustelle, in der noch 1.001 Dinge zu tun sind und in der man nur provisorisch leben kann. Der Raum, der später einmal, wenn er groß ist, ein Gästezimmer von Beruf werden will, befindet sich im dauerchaotischen Zustand mit Abrisscharakter, folglich kann er nicht genutzt werden und alle Anreisenden werden genötigt, ein Zelt mitzubringen und sich auf unserem Hektar Land ein schönes Plätzchen zum Übernachten zu suchen. Sommerlich genug ist es ja inzwischen hier in Mitteldeutschland!
Ich habe meinen Hauptaufenthaltsort nach viermonatigem Intermezzo nun wieder nach Fruitlands verlagert und akzeptiere die Queste, binnen fünf Tagen unseren Hof hübsch herzurichten, damit sich alle hier wohlfühlen. Und wirklich schaffe ich es pünktlich zum Freitagabend, das ganze Haus aufzuräumen, alles inklusive der 14 Fenster zu putzen, die Fußböden zu fegen saugen wischen und die Zimmerdecken zu entspinnweben. Dazu mähe ich den Rasen im Innenhof, in der Einfahrt, um die Beete herum und die Wandelpfade im Meditationsbereich des Grundstücks. Normalerweise fange ich zu solcherlei Events auch immer mindestens zwei Tage vorher mit den Vorbereitungen des Essens an, jedoch habe ich hier ja kein Auto und kann deshalb schlecht einkaufen. Der nächste Supermarkt ist eine Weltreise entfernt. Da Essen für mich eine zentrale Rolle spielt und einen hohen Stellenwert hat, verfalle ich stellenweise in Panik, weil ich nur eingeschränkt Lebensmittel zur Verfügung habe, und die Vorräte sind nur für zwei menschliche Personen ausgelegt. Das zerbricht mir eine Nacht den Kopf, und dann habe ich einen annehmbaren Essensplan erstellt. David muss in Unna (wo sich seit Neuestem unsere zweite Homebase befindet) ein paar Dinge einkaufen und mitbringen. Weitere Zutaten müssen am Pfingstsamstagmorgen hier vor Ort besorgt werden. Und Schwiegermama bietet an, in der Küche zu helfen. Alles machbar, irgendwie. Don’t panic, Alex. Es wird jeder satt und zufrieden sein. Ich neige dazu, mich in Sachen Essen selbst sehr unter Druck zu setzen. Mein Essen soll für meine Gäste perfekt und reichlich und vielfältig sein.
To make a long story short: Natürlich wird es das und mir kommen keinerlei verhungernde Beschwerden zu Ohren!
Die ersten, die hier eintreffen, sind David und seine Mutter Marina. Sie kommen in der Nacht von Freitag auf Samstag an, sind ziemlich müde und freuen sich über das gemütlich hergerichtete Haus. Ich habe es sogar hinbekommen, das Zimmer im ersten Stock hübsch einzurichten, sodass wir Marina nun doch noch ein Gästezimmer anbieten können.
Am Samstag trudeln nach und nach Davids Schwester samt Lebensgefährten und Söhnchen sowie Davids Bruder hier ein. Zwischendurch hole ich meine Freundin Nathalie und ihren Freund Jan mit dem Auto ab, denn die beiden sind per Bus und Bahn aus Bochum angereist, bis sie in Sangerhausen stranden.
Alle scheinen von unserem wildwüchsigen Grund und Boden und den urigen Gebäuden sehr angetan sein, bloß das Wetter enttäuscht mit einem ungemütlichen Wolken-Regen-Mix statt der erhofften Sonne, die hier die ganze vorige Woche ungebrochen vom Himmel schlug.
Dennoch werden unverzagt Zelte aufgebaut und alle machen sich eine schöne Zeit im Wohnhaus. Abends lichtet sich das Grau des Himmels, sodass wir den Grill anwerfen und das obligatorische Lagerfeuer in unserer riesigen Feuerstelle in Gang bringen können. Zu Einbruch der Nacht backen wir Stockbrot über der Glut, brutzeln Seitanwürstchen und eine Pilzpfanne auf dem Grill und lassen uns Kartoffelsalat, Nudelsalat, kleine Champignonpasteten und diverse Dips und Saucen sowie Erdbeer-Chia-Pudding und Marinas leckeren Zitronenkuchen mit dickem Zuckerguss schmecken.
Erst gegen ein Uhr nachts leert sich der Innenhof, obwohl alle so eine lange Anfahrt hatten, und das Feuer erlischt langsam.
Unsere Zeltgäste überstehen die regenreiche Nacht gut – die Lautstärke ist wohl störender gewesen, denn in allen Dörfern ringsum finden zahlreiche ausschweifende Pfingstveranstaltungen statt, die bis in den frühen Morgen andauern. Wir selbst brauchten gar keine Musik anzumachen, denn aus verschiedenen Himmelsrichtungen dröhnt seit dem frühen Samstagabend ein schwerverdaulicher Brei aus Schlagern, 90er-Charthits und Evergreens über die Raps- und Weizenfelder.
Den Sonntagmorgen lassen wir recht gemütlich angehen. Wir frühstücken gemeinsam Brötchen und Müsli in unserem Wohnzimmer. Es ist etwas frisch, also feuern wir den Ofen an, der zuverlässig wie je seinen Dienst tut. Unsere Gäste genießen den molligen Flair der warmen Holzofenluft. Aber gegen Nachmittag, als das Wetter zur Besinnung kommt und die Wolken sich verziehen, werden alle unruhig und die ersten Fragen kommen auf, wo denn was getan werden könnte. David und ich fangen auf Wunsch an, den arbeitswilligen Gästen Vorschläge zu machen, und bald tut jede*r etwas, das ihm oder ihr am meisten Spaß macht. Das Szenario ist für mich überwältigend! Von überall her sind Geräusche des Arbeitens zu hören und der Fortschritt zu sehen: im zukünftigen Gästezimmer wird der gesamte Putz von der Wand geschlagen, das Kräuterbeet wird gejätet, die wuchernden Rasenkanten im gesamten Innenhof geschnitten, die Kartoffeln angehäufelt, ein neues Gemüsebeet angelegt und umgegraben und das Brennholz für den Winter gehackt – alles gleichzeitig! Ich staune über die geballte Energie, die hier zutage tritt und sich in so viele Richtungen kanalisiert, um in einer einzigen riesengroßen sichtbaren Veränderung zu resultieren. Wahnsinn!!
Es ist nicht nur eine Freude zu sehen, wie hier in kurzer Zeit so liebevoll und leidenschaftlich so viele Sachen geschafft werden; nein, es ist auch toll zu spüren, dass alle diese Menschen das, was sie tun, auch wirklich gerne und freiwillig tun, einfach weil sie gerade Lust dazu haben und dann mit Stolz betrachten können, was sie innerhalb eines Tages geschaffen haben!
Schon im Vorfeld haben wir mehrfach ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es uns ungemein wichtig ist, dass sich niemand zum Helfen verpflichtet fühlen muss, und jede*r nur das machen soll, womit sie/er sich glücklich fühlt. Und genau das passiert hier gerade. Ich bin froh zu sehen, dass alle auf sich selbst achten und nur soviel arbeiten, wie sie möchten, und sich zwischendurch auch mal zurückziehen, lesen oder in der Hängematte entspannen.
Besonders gerne versuchen David und ich, dem kleinen Paul die Tier- und Pflanzenwelt näherzubringen.
„Ist die echt??“, fragt mich der Vierjährige erstaunt, als er die erste Weinbergschnecke seines Lebens sieht. In seiner Heimatstadt Berlin gibt es davon wohl nicht allzuviele.
Auch am Sonntagabend wird wieder ein Feuer gemacht und der Grill angeworfen. Unser Nachbar fährt im einem nostalgischem DDR-Traktor die Straße entlang, wir winken ihm, und er biegt in unsere Einfahrt ein und tuckert bis auf den Innenhof. Wir bewundern den hübschen roten Oldtimer mit dem blubbernden Motor und lassen uns von unserem Nachbarn die traditionellen Pfingstbräuche hier aus der Gegend erklären – das Dreckschweinfest und das Anbaden im Dorfteich. Auch dieser Abend wird lang, und die Nacht zumindest weniger regnerisch als die vorige.
Am Montagmorgen sieht man sehr gut, wie sich alles verändert hat: der Innenhof macht wirklich was her mit seinen fein säuberlich getrimmten Rasenkanten. Er wirkt sehr viel aufgeräumter. In der Lounge liegt das sorgfältig gestapelte Brennholz in großer Menge bereit. Auch die Beetränder wurden mit der Rasenkante getrimmt, wodurch die Beete nun viel breiter und nicht mehr so zugewachsen sind. Das brandneu angelegte Beet, welches ich unserer Tradition gemäß nach einem Cocktail benannt habe, nämlich „Grüne Wiese“ (Blue Curaçao mit Orangensaft), ist schon zur Hälfte bepflanzt mit Bantam-Mais, Hokkaido- und Butternutkürbissen sowie gemulcht und angegossen. Am Brunnen befindet sich ein neuer Eimer an einem Stahlseil, nachdem das alte brüchige Seil am Vortag während des Wasserschöpfens endlich spontan durchscheuerte und den anderen Eimer in den Tiefen der Grundwasserfluten versenkte. Das Gästezimmer ist bereit für das Verlegen der Netzwerkkabel und das Verputzen mit Lehmputz. Der alte Putz ist komplett weggeschlagen. Und sogar das Geschirrtuch, das mir vor einigen Tagen von der Fensterbank im ersten Stock auf das Dach des Windfangs gefallen ist, wurde von dort heruntergeholt. Soviel ist hier geschehen, und das an nur einem einzigen Tag, und alles ist nur freiwillig, zwanglos und aus reiner Freude an der Arbeit passiert!
Als die Berliner und die Bochumer wieder abgereist sind, sind nur noch David, Marina und ich auf dem Hof. Auch Leo lässt sich wieder vorsichtig blicken. Nach all dem Trubel gönnen wir uns noch ein paar erholsame ruhige Stunden im Sonnenschein. Marina verzieht sich mit Buch und Wolldecke in den Meditationsbereich und David und ich machen erst eine Fahrradtour zum nahegelegenen Seerosentümpel und pflanzen danach Helgoländer Wildkohl und Eberraute an die Sonnenfalle aus Ziegelsteinen.
Um 18 Uhr packen die beiden ihre Sachen und machen sich wieder auf den Weg nach Unna; Leo und ich bleiben zurück auf Fruitlands.
Für uns war es eine wunderschöne Zeit und eine tolle Erfahrung, die uns sehr bereichert hat und für die wir sehr dankbar sind!